Zu Weihnachten im Regal
2026

Kapitel 1
Lichter ohne Strom
Milan liebte Weihnachten und schwebte in Erinnerung.
Schon Wochen zuvor freute er sich auf das, was kommen sollte.
Allein der Gedanke an Lichter, Lachen und das Gefühl, dass an diesem Tag alle ein bisschen glücklicher waren, machte ihn ruhig und unruhig zugleich.
Es war, als beginne in ihm ein inneres Fest, das keiner sehen konnte.
Wenn andere sich noch über das graue Herbstwetter beschwerten, holte Milan längst seine alten Kataloge hervor.
Den dicken Otto-Katalog und den von Quelle, mit all den schönen Dingen, die nach einem besseren Leben rochen.
Im Quelle-Geschäft nebenan blieb er oft vor dem Schaufenster stehen.
Stundenlang hätte er dort stehen können, nur um zu träumen.
Er liebte es, durch die Seiten zu blättern, auch wenn es erst Oktober war.
Er wusste, dass die Post vor Weihnachten oft lange brauchte, und wollte sicher sein, dass alles rechtzeitig ankam.
Es war das Gefühl von damals, als noch alles kleiner war, aber irgendwie größer schien.
Als es keine Handys gab, kein Dauerrauschen, keine Nachrichtenflut.
Nur das Warten.
Diese schöne, kindliche Geduld, die mit jedem Tag wuchs, je näher der Heiligabend rückte.
Er erinnerte sich.
Es war der 24. Dezember.
Draußen hatte es leicht geschneit, und die Welt lag still da.
Nur hin und wieder hörte man das ferne Scheppern einer Schneeschaufel oder ein kurzes Hundegebell.
Im Haus roch es nach Zimt, Vanille und Kerzenwachs.
Seine Mutter summte in der Küche, während sie die Soße abschmeckte, und sein Vater stapfte durch den Flur mit einem kleinen Christbaum unter dem Arm.
Milan saß am Fenster und malte mit dem Finger Muster in die beschlagene Scheibe.
Auf der Straße liefen Kinder mit roten Mützen, einer zog einen Schlitten hinter sich her.
Es war einer dieser Tage, an denen die Zeit anders lief.
Langsamer, voller Erwartung.
Im Wohnzimmer standen schon die Stühle im Halbkreis, die Schokolade lag bereit, und der Plattenspieler war aufgezogen.
Er spielte leise Stille Nacht, so wie jedes Jahr.
Nur das Klirren des Bestecks und das leise Rascheln des Geschenkpapiers im Nebenzimmer unterbrachen die Ruhe.
Sein Vater hatte immer gesagt, Weihnachten sei kein Tag, sondern ein Gefühl.
Und als Kind verstand Milan das nie richtig.
Heute wusste er, was er meinte.
Es war dieser Moment, wenn das Glöckchen klingelte und alle Stimmen verstummten.
Wenn man das erste Mal das Licht des Baumes sah, das goldene, warme Leuchten, das sich auf allem spiegelte.
Die Familie stand beieinander.
Kein Handy, kein Fernseher, kein Lärm.
Nur sie.
Seine Mutter hielt seine Hand, sein Vater nickte ihm zu.
Kein großes Geschenk, kein Überfluss, nur Nähe.
Er erinnerte sich daran, wie er einmal einen hölzernen Lastwagen bekam, handgemacht von seinem Onkel.
Kein Batteriebetrieb, kein Sound, nur Holz und Farbe.
Er war stolz darauf, als wäre es das Größte auf der Welt.
Und das war es damals auch.
Manchmal fragte er sich heute, wann dieses Gefühl verloren ging.
Wann alles lauter, greller, bedeutungsloser wurde.
Vielleicht, dachte er, war es nie ganz weg.
Vielleicht lag es nur irgendwo tief in ihm, zugedeckt von Jahren, Terminen und Nachrichten.
Er wusste nur eins:
Wenn er an Weihnachten dachte, dann nicht an Dinge, sondern an Menschen.
Und an das Licht.
Dieses weiche, flackernde Licht, das man nur sah, wenn man wirklich hinschaute.
Er öffnete die Augen.
Der alte Otto-Katalog lag vor ihm.
Vielleicht, dachte er, fängt dieses Weihnachten genau dort wieder an, bei einem Gefühl, das man nicht kaufen kann.
Projekt
2026
Stolz ohne Bühne

Kapitel 4: Der Anfang vom Neuen
Eines Tages kam Petra nach Hause,
legte ihre Tasche auf den Tisch und sagte:
„Stell dir vor, mein Bruder hat mir erzählt,
in der Stadt wird ein neuer Inhaber für eine Gaststätte gesucht.
Der jetzige geht in Rente.“
Ich sah sie an.
Ich wusste nicht genau, warum,
aber irgendetwas in mir fand diese Idee großartig.
Vielleicht, weil ich wollte, dass sie glücklich ist.
Vielleicht, weil ich glaubte,
dass es uns guttun würde,
wenn einer von uns etwas Neues beginnt.
„Schau es dir an“, sagte ich.
Ein Satz, den ich leicht dahinsagte,
ohne zu wissen,
welche Bedeutung er später haben würde.
Früher hätte ich gesagt,
ich war mir nicht bewusst,
welche Kraft solche Worte haben.
Petra hat sich die Gaststätte angeschaut,
und kurz darauf war alles entschieden.
Sie wollte es machen.
Selbstständig werden.
Etwas Eigenes aufbauen.
Ich erinnere mich, wie sie mich ansah
und sagte:
„Ich will es versuchen,
aber ich brauche dich,
du musst mir den Rücken freihalten.“
Ich antwortete,
ohne lange nachzudenken:
„Petra, ich halte dir den Rücken frei.
Du kannst dich auf mich verlassen.“
Ob ich bei klarem Verstand war,
lasse ich offen.
Denn ab diesem Tag
veränderte sich alles.
Alles ging rasend schnell.
Bevor ich mich versah,
war ich Hausmann.
Ein Wort, das früher nie zu mir gepasst hätte,
und jetzt mein Alltag wurde.
Ich hatte keine Struktur,
keinen Plan,
keine Ahnung,
wie das funktionieren sollte.
In meinem bisherigen Leben
musste ich nichts tun,
wozu ich keine Lust hatte.
Jetzt war „keine Lust“ ein Fremdwort.
Zwei Kinder,
die essen wollten,
die durstig waren,
die Kleidung brauchten,
Zuwendung, Sicherheit, Nähe.
Da blieb kein Platz für Stimmung oder Bequemlichkeit.
Ich hatte Petra immer gesagt:
„Ich werde aber nie Wäsche machen.“
Heute weiß ich,
dass man nie weiß,
was man alles schaffen kann,
bis man muss.
Petra war viel unterwegs,
und ich musste kochen.
Ich konnte es nicht.
Am Anfang gab es Ravioli,
Nudeln, Dosenfutter
alles, was schnell geht und keinen Plan braucht.
Aber irgendwann,
nach Wochen des Improvisierens,
kam in mir dieser Gedanke auf:
Wenn ich das hier schon mache,
dann will ich es richtig machen.
Ich fing an,
mir Kochbücher schenken zu lassen.
Ich wollte verstehen,
was Essen eigentlich bedeutet.
Was Pfeffer bewirkt.
Wie Salz schmeckt,
wenn man es nicht einfach nur benutzt.
Was Hühnerbrühe kann.
Ich erinnere mich an den Abend,
an dem Petra nach Hause kam,
und ich stolz den Tisch gedeckt hatte.
Sie sah den Teller an,
lächelte
und fing plötzlich an zu lachen.
Ich fragte sie, warum.
Sie sagte:
„Ich habe noch nie Nudeln mit Kartoffeln gegessen.“
Ich lachte mit.
Und innerlich wusste ich,
dass ich gerade in etwas hineingewachsen war,
das mich verändern würde.
Mit der Zeit wurde ich mutiger.
Ich probierte aus,
mischte Zutaten,
die laut Kochbuch nicht zusammenpassten.
Aber manchmal,
ganz selten,
wurde daraus etwas Neues.
Etwas, das schmeckte,
weil es echt war.
Später kaufte ich mir einen Thermomix.
Mein erstes Gericht daraus war einfach,
aber es gelang.
Ich erinnere mich,
wie stolz ich war.
Nicht, weil es perfekt war,
sondern weil ich es gemacht hatte.
Vielleicht war das mein Vorteil:
Ich hatte keine Ahnung,
was man „so macht“.
Und genau deshalb
entstand manchmal etwas,
dass es so noch gar nicht gab.